30 Jahre ICE: Ohne Strom nix los!

Artikel: 30 Jahre ICE: Ohne Strom nix los!

Als der ICE 1 vor 30 Jahren an den Start gehen konnte, mussten auch seine Einsatzstrecken fit sein für Hochgeschwindigkeit. Dazu gehört neben dem Thema Fahrbahn oder der Leit- und Sicherungstechnik auch die elektrische Ausstattung von Ausbau- und Neubaustrecken. Stephan Glöckner, Leiter Anlagentechnik für elektrische Energieversorgung von DB Energie, erklärt im Interview, was eigentlich passieren muss, damit ein ICE ständig genug Strom aus der Oberleitung bekommt.


Wie musste sich die elektrische Infrastruktur verändern, damit ab 1991 der ICE-Verkehr beginnen konnte?

Glöckner: Die ersten planmäßigen Fahrten von ICE-Fahrzeugen fanden ab 1991 zwischen Hamburg und München statt. Auch die Bahnstromversorgung inkl. der Oberleitung musste zuvor für den gestiegenen Leistungsbedarf aufgrund der höheren Geschwindigkeiten verstärkt werden. Der Weg von Hamburg nach München teilte sich auf in Ausbau- (ABS) und Neubaustrecken (NBS). Die NBS Hannover-Würzburg war bereits für den Verkehr bis zu 250 Stundenkilometer ausgelegt worden. Dazu gehörte eine neue 110 Kilovolt-Bahnstromleitung entlang der Strecke und die entsprechenden Unterwerke, die elektrische Energie mit der für die Züge angepassten Spannung von 15 Kilovolt in die Oberleitung einspeisen. Auf den Abschnitten der Ausbaustrecken reichte eine Ertüchtigung der Oberleitungen und der Energieversorgung für 200 Stundenkilometer. Auch hier wurden weitere Unterwerke gebaut, damit eine höhere Leistung bereitgestellt werden konnte. 

Brauchte es eigentlich spezielle Voraussetzungen, damit die ICE 1 ihre Bremsenergie zurück in das Netz speisen können?

Die Triebköpfe der ICE 1-Züge wurden abgeleitet von der Drehstrom-Technik der Lok-Baureihe 120. Diese war in den späten 70er-Jahren entwickelt worden und wurde dann in den 80er-Jahren in Serie gebaut. Mit dieser damals zukunftsweisenden Drehstromtechnologie wurde es möglich, Bremsenergie in die Oberleitung zurückzuspeisen. Die Technik war also schon bekannt und die Infrastruktur darauf angepasst. Grundsätzlich gilt: umso leistungsfähiger die Energieversorgung, desto besser ist auch die Rückspeisung von Energie möglich.

Es blieb nicht nur beim ICE 1 und auch weitere ICE-Strecken kamen dazu. Wie hat sich die Infrastruktur über die Jahre angepasst?

Sie ist ständig mitgewachsen: mit weiteren 110 Kilovolt-Bahnstromleitungen, neuen Unterwerken und mit mehr installierter Einspeiseleistung im 110 Kilovolt-Bahnstromnetz, vergleichbar mit Kraftwerken im öffentlichen Netz. Außerdem kamen weitere Schaltanlagen entlang der Strecken dazu. Sie verbinden die einzelnen Oberleitungsabschnitte miteinander. Mit ihrer Hilfe können wir höhere Leistungen für den ICE-Verkehr bereitstellen. Dazu kommt, dass wir unsere Technik mittlerweile immer digitaler und effizienter steuern, um eine hohe Leistung genau im richtigen Moment in die Oberleitung zu bringen. 

Nach den Neubaustrecken Hannover-Würzburg und Stuttgart-Mannheim entstand die durch viele Steigungen anspruchsvolle Neubaustrecke Köln-Rhein/Main. Obendrein ist auf ihr auch der leistungsstarke ICE 3 unterwegs. Mussten hier besondere Vorkehrungen getroffen werden?

Ja, dort wurde auch eine eigene 110 Kilovolt-Bahnstromleitung realisiert. An ihr hängen die Unterwerke in kurzen Abständen quasi wie an einer Wäscheleine. Dazu kommt, dass der ICE 3 pro Triebzug acht Megawatt Leistung abrufen kann. Fahren zwei Triebzüge in Doppeltraktion entsteht also ein maximaler Leistungsbedarf von 16 Megawatt (Vergleich ICE 1: zehn Megawatt). Vor allem bei der Beschleunigung von 100 bis 300 Stundenkilometer bzw. beim Halten der Spitzengeschwindigkeit von 300 Stundenkilometer müssen hohe Leistungen durch die Oberleitung bereitgestellt werden. Die Unterwerke arbeiten also in kurzen zeitlichen Abständen immer auf Hochleistung, je nachdem wie lange der Zug sich in ihrem Abschnitt befindet und wie viele Züge gleichzeitig auf der Strecke unterwegs sind.

Wenn es mehr Leistung braucht, helfen also weitere Unterwerke?

Wir können natürlich nicht beliebig viele Unterwerke an die Strecke bauen. Am Ende müssen wir ein wirtschaftlich technisches Optimum für den Betrieb finden. Dazu arbeiten wir eng mit DB Netz zusammen, um die Verkehre zu prognostizieren und damit die Leistungsanforderungen an die elektrische Ausstattung der Strecken zu kennen und anzupassen. Neben der Anzahl und Leistung der Unterwerke muss natürlich auch das übergeordnete 110 Kilovolt-Bahnstromnetz in der Lage sein, den Unterwerken die erforderliche Leistung „anzubieten“. Also wurde auch dort kontinuierlich die installierte Erzeugerleistung erhöht, zum Beispiel an der NBS Köln-Rhein/Main wurde in Limburg eine zusätzliche Kupplung zwischen dem öffentlichen Netz und dem Bahnstromnetz hergestellt.

Was gab es noch für Herausforderungen bei der NBS Köln-Rhein/Main?

Die Oberleitung an der Strecke musste erstmals für 300 Stundenkilometer ausgelegt werden. Deswegen wurde für diese NBS eine neue Bauform entwickelt. Ihr Aufbau sorgt dafür, dass auch eine schnelle Zugfahrt nicht zu starken Schwingungen der Konstruktion führt. Das ist wichtig, damit zum Beispiel bei ICE-Doppeltraktionen auch der Stromabnehmer des zweiten Zuges einen guten Kontakt zur Oberleitung bekommt. Die Seile und Fahrdrähte der Konstruktion müssen sich also innerhalb kürzester Zeit wieder aushängen. Sonst kann es unter anderem zu einer Lichtbogenbildung kommen, welche die Oberleitung und den Stromabnehmer des Zuges stark abnutzen oder beschädigen würde.

Wie sieht die Zukunft der ICE-Stromversorgung aus?

Wir bei DB Energie werden die Bahnstromversorgung künftig noch digitaler und damit intelligenter steuern können. Und wir werden weitere Leistung zur Verfügung stellen, damit die ICE künftig in einem noch dichteren Takt unterwegs sein können. Die intelligente Steuerung wird es uns auch ermöglichen deutlich mehr erneuerbare Energien in unser Netz einzuspeisen. Dazu gehört auch die Entwicklung direkter Einspeisetechnologien von Wind- und Sonnenenergie. Wir müssen dabei in der Lage bleiben, das Netz stabil zu halten. Deswegen muss für den zukünftigen Netzbetrieb zum Beispiel analysiert werden, ob zur Sicherstellung der Netzstabilität Speichersysteme mit einbezogen werden müssen. Denn die ICE-Züge schert es nicht, ob der Wind weht oder die Sonne scheint, sie fahren immer.